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Napoleonische Kriege in Norddeutschland – Verkehrswege (Teil 2)

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Route Impériale Nr. 3

Wie vielen anderen Herrscher vor und nach Napoleon, die ihre Macht in großen Teilen militärisch durchsetzen, war auch ihm völlig klar, dass schnelle Verbindungswegen eine unbedingte Notwendigkeit darstellten. So schuf Napoleon am 16. Dezember 1811 aus den bereits bestehenden oder im Bau befindlichen großen Straßen seines Reiches ein Netz von sogenannten Kaiserstraßen, den „routes impériales“. Die wichtigsten dieser Straßen erhielten die Nummern 1 bis 14. Sie begannen am Portal von Notre-Dame in Paris und führten von hier in alle Himmelsrichtungen. Die zweitklassigen Straßen mit den Nummern 15 bis 27 verbanden die Hauptstadt Paris mit ihrer näheren Umgebung. Die Nummern 28 bis 229 blieben den drittklassigen regionalen Verbindungsstrecken vorbehalten.

Chausee 13

Während der Zeit von 1800 bis 1812 sind in dem damaligen Frankreich allein 300 Millionen Francs für den Straßenbau verwendet worden. Damit besaß Frankreich das mit Abstand beste Straßennetz der Welt und war in diesen Belangen noch bis ins 20. Jahrhundert führend.

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Die Route Impériale Nr. 3 bei Harburg kurz nach den Napoleonischen Kriegen

Die Kunst des Straßenbaus, wie sie einst von den Römern der Antike betrieben wurde, erlangte erst Mitte des 18. Jahrhunderts eine Renaissance. Entscheidend dafür war die Gründung der Ècole de Ponts et Chaussèes (Die Schule der Brücken und Straßen) im Jahre 1747 in Frankreich. In diesem Zusammenhang sei der Straßenbaupionier Pierre Marie Trésaguet genannt, der nicht unbedingt als Erfinder, aber doch als treibe Kraft des modernen Straßenbaus, der sogenannten „Chaussee“ gesehen werden kann. Das Wort Chaussee stammt natürlich aus dem Französischem und geht hier zurück auf einen Begriff, welcher eine Straße mit festgestampften Steinen bezeichnet. Die ersten zeitgenössischen deutschen Wortübersetzungen waren „Straßendamm“ und „Hochweg“, gleichbedeutend mit dem englischen „highway“. Schließlich hatte sich der Begriff Kunststraße etabliert. In Hamburg und Umgebung hat sich die Chaussee bis heute in vielen Straßennamen erhalten. In anderen Gegenden wurde das französische Wort bewusst abgeschafft (Bremen) oder mit der Bezeichnung „Steinweg“ (Westfalen) belegt.

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Noch heute findet man in ländlichen Gegenden Kopfsteinplasterstraßen mit den typischen paralell verlaufenden Sommerwegen

Neu und prägend für den Chaussebau war die aufwändige Erstellung der Trasse, also einer Straße mit festem Straßenbelag, der aus einem mehrteiligen Unterbau bestand. Dafür wurde zunächst der Boden abgetragen und größere Steine, Grobschlag und Kies oder Schotter schichtenweise aufgetragen, eine “Packlage setzen” nennt dies der Steinsetzer. Die zur Mitte gewölbte Fahrbahn wurde außerdem von Gräben flankiert, die ein Abtrocknen erleichtern sollten. Durch regelmäßige Baumbepflanzungen (vorwiegend Pappeln) wurden die Vorteile einer Allee nutzbar gemacht, wie Schutz vor Sonne und Wind sowie bessere Orientierung. Zur weiteren Straßenausstattung gehörten auch eine kontinuierliche Stationierung, also das Aufstellen von Meilensteinen.

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Darstellung zum Aufbau einer Chaussee

Die Straße war nach rein militärischen Gesichtspunkten konzipiert, sie hatte ein Gesamtbreite von ca. 15 Metern und neben der gepflasterten 4,5 bis 8 Meter breiten Fahrbahn für Artilleriegespanne, einen benachbarten 3,5 Meter breiten Schotterweg für Infanteriekolonnen, sowie einen unbefestigten 3,5 Meter breiten Weg (in Norddeutschland „Sommerweg“ genannt, dieser auch sonst vielfach angelegte Weg, diente in der trockenen Jahreszeit zur Schonung der Steinbahnen oder bot bei schlechtem Zustand des Pflasters eine sanftere Fahrstrecke) für die Kavallerie. Teilweise war auch ein 1,2 Meter breiter Fußweg vorhanden. Die gesamte Trassenführung war außerdem gradlinig und versuchte die Verbindung zweier Orte auf dem direkten Weg herzustellen. Durch diesen Umstand musste nun auch Senken aufgefüllt und Hügel abgetragen werden, wobei Steigungen bzw. Gefälle 3 bis 5 % nicht überschritten werden durften. Dies sollte den benötigen Vorspann und die Beanspruchung der Bremsen von Fuhrwerken gering halten.

Am 11.12.1812 erging der Befehl, eine solche Straße, die Route Impériale Nr. 3 von Paris nach Hamburg anlegen zu lassen. Die Streckenführung sollte von Paris über Charleville, Givet, Lüttich, Maastricht, Venlo, Wesel, Münster, Osnabrück, Diepholz, Bremen,
Rotenburg/Wümme nach Harburg und Hamburg sowie darüber hinaus durch das dänische Holstein über Oldesloe nach Lübeck und Travemünde verlaufen.

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Bauern und Bürger müssen Arbeitsdienst leisten

Am. 25.01.2.1812 waren die Planungen abgeschlossen und am 04.04.1812 setzte man ein Reglement auf, welches die Organisation, die rechtlichen Belange und die Kosten regeln sollte. Ausschlaggebend für den Bau war, dass die Arbeiten im Norddeutschen Raum durch die Gemeinden, welche an lang der Straße lagen, aufgebracht werden mussten. Zahlreiche Bauern mussten natürlich auch ihre Ländereien abgeben. Im Gegensatz dazu wurden in Frankreich die Arbeiten von Tagelöhnern und Gefangenen erledigt. Zu den Diensten musste auch das Material zum Straßenbau, also Steine, Schotter, Sand und Alleebäume von der Gemeinde bereitgestellt werden. In der Regel gab es aber eine Entlohnung der Dienste bzw. eine Bezahlung der Materialien, welche durch die Hauptstadt Paris und nicht durch das Departement erfolgte, da es sich um eine Straße ersten Ranges handelte. Ein Taglohn wurde mit 14-18 Schillinge, ein Gespann mit 5 Franc pro Tag vergütet.

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Bauern und Handwerker arbeiten unter Aufsicht eines staatlichen Inspektors (Freilicht-Museum Kiekeberg)

Jede Gemeinde sollte eine Anzahl von Arbeitskräften stellen, die unter der Aufsicht des Bürgermeisters in Rotten oder in Kompanien von jeweils 100 Mann zusammengefasst waren. Hinzu kamen auch Spanndienste. Die Arbeitskräfte durften nur maximal 10 % Frauen und ausschließlich Jugendliche über 16 Jahre enthalten. Kinder durften allerdings zum Sammeln der Steine eingesetzt werden. Für 10 km Chaussee brauchte man etwa tausend Schubkarren, 200 Rodehacken, 100 Spaten und Harken. Die Oberaufsicht hatten französische Ingenieure des Corps des ponts et chaussées, deutsche Ingenieure überwachten die Arbeiten. Bei den Steinen der gepflasterten Fahrbahn handelte es sich im Norddeutschen Raum hauptsächlich um Natursteine, also Findlinge aus den Äckern und aus den vielen Hünengräbern der Gegend. Für die Strecke bei Marmstorf wurde der Kies beispielsweise aus der Kiesgrube am Frankenberg gegraben. Das gleiche Dorf lieferte außerdem 208 Pappeln und 112 Rotbuchen für die Pflanzung der Allee. Die Arbeiten gingen jedoch nur sehr schleppend voran. Die geforderten Arbeiter erschienen oft nicht oder nur in sehr geringer Anzahl. Nach mehrfachen Aufforderungen wurden die Einwohnen schließlich unter militärischer Aufsicht zur Baustelle geführt. Immerhin sollen beispielsweise im Juli 1812 Juli rund 7000 Arbeiter und 1200 Fuhrwagen zwischen Wesel und Hamburg eingesetzt worden sein.

Chausee 07

Bauern beim Straßenbau (Freilicht-Museum Kiekeberg)

Die Route Impériale Nr. 3, die nie in Gänze fertigstellt wurde, ist heute noch in großen Teilen erhalten. In Harburg heißt sie jetzt Bremer Straße, geht dann in die Bundesstraße 75 und schließlich die B 58 über. Viele Straßen haben noch heute in Norddeutschland die Bezeichnung Napoleons-Weg, -Straße oder -Brücke, was nicht heißen muss, dass Napoleon den Bau beauftragt hatte, sondern oftmals nur einen Hinweis auf die Ausführung enthält. Die qualitativ hochwertigen Bauwerke wurde also zu einer Art Markenzeichen der Napoleonischen Ära.

Bremer Chaussee 01

Die Bremer Chaussee heute (ungefähr dort, wo sich die “Hamburger Straße” und die “Bremer Straße” treffen)

Bemerkungen zur Bremer Chaussee findet man bei Dr. F.J.L. Meyer in „Die Haisefahrt“ von 1816: „…leicht und frei fuhren wir auf einer der ebensten und gradlinigsten Kunststraßen weiter, und mussten unwillkürlich, doch ehrlich gestehen, dass ohne die heillose französische Besitznahme dieser Gegend, und die staatswirtschaftliche Betriebsamkeit der Nation, ein solches Wegewerk nie zu Stande gekommen sein würde. Nichts ist angenehmer überraschend für den, der, wie wir, die Lüneburger Haide oft befahren, und alle damit verbundenen Widerwärtigkeiten ausgestanden hat, als der Anblick dieser Weganlage, wodurch die langewünschte bessere, Verbindung des nördlichen mit dem westlichen und südlichen Deutschland bewerkstelligt ist“.

Chausee 06

Steinsetzter bei der Arbeit (Freilicht-Museum Kiekeberg)

Es gab allerdings auch viele kritische Stimmen, wie dieser Bericht verrät: „Nach mehrstündiger Wanderung erreichen meine Vater und ich das Dorf W. (…) Hier gelangten wir auf die Heerstraße, die Napoleon I. während der Jahre von 1811-1813 durch unsere Heide bauen ließ. Vielfach hörte ich in meiner Jugend und auch wohl später noch in gewissen Kreisen die Einrichtungen und Umwälzungen, womit der Völkerunterjocher unsere Heimath beglückte, als höchst segensreich für Handel und Verkehr preisen. Jene auf Befehl des Gewalthabers erbaute Straße musste dann oft als Beweis für die Kultur- und fortschrittbefördernden Bestrebungen des großen Kaisers dienen. Mein Großvater, der die Zeit der französischen Herrschaft mit durchlebte, wusste allerdings noch eine andere Tonart zu jenem Lobliede. Er meinte, das Gute, was Napoleon uns gebracht habe, wäre auch wohl ohne ihn und mit weniger Ungerechtigkeit und Druck zu uns gekommen. Mein Großvater hatte als fünfzehnjähriger Bursche mit an jener Straße arbeiten müssen. Aus den entferntesten Dörfern her, aus meilenweiter Runde trieben die Gendarmen die arbeitsfähigen Männer scharenweise herbei und zwangen sie zum Frondienst für den Staat. Beköstigung mussten die Leute sich selber mitbringen und an Zahlung eines Arbeitslohnes war kein Gedanke. Die Gelder, die der Staat für den Bau hergab, verloren sich in den Taschen der Aufseher und Unternehmer, jener Leute, die in den größeren Dörfern, Flecken und Städten Handel, Verkehr und Gewerbe in den Händen hatten, oder auch bei Zeiten sich im Civildienst einflussreiche Stellungen zu ergattern wussten, mit Hintansetzung alles vaterländischen Gefühls und nach dem weisheitsvollen Grundsatze: Weß Brod ich esse, deß Lied ich singe“



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